Exhibition view print room with sketches and drawings relating to the artist book Tristan Bärmann
© Franz Gertsch
Franz Gertsch
1950 und 1960: Skizzen und Vorzeichnungen zu «Tristan Bärmann”»
30.01.2010 – 28.03.2010
Eine von Rainer Michael Mason kuratierte Ausstellung im Kabinett des museum franz gertsch gewährt charmante Einblicke in das Frühwerk von Franz Gertsch. Zu sehen sind Kugelschreiberskizzen des erst Zwanzigjährigen sowie Tuschzeichnungen, die zehn Jahre später als Vorarbeiten für sein Künstlerbuch "Tristan Bärmann" (1962) entstanden. Neben den 46 Arbeiten auf Papier ist auch das besagte Künstlerbuch ausgestellt. Bei den Exponaten handelt es sich um Leihgaben aus dem Privatbesitz von Franz Gertsch und Maria Gertsch-Meer.
Die hier gezeigte Auswahl von Zeichnungen von Franz Gertsch besteht aus zwei sehr verschiedenen Gruppen, die die künstlerische Handschrift eines jungen Mannes dokumentieren. Sein Stil – im Alter von zwanzig und dann mit dreissig Jahren – ist noch im Werden und verfolgt nicht die gleichen Ziele.
Die kleine Folge von schnellen Entwürfen mit blauem Kugelschreiber auf den Seiten eines aus der Tasche gezogenen Skizzenbüchleins stammt vom zweiten Paris-Aufenthalt Franz Gertschs, als er im Frühling 1950, von seinen Militärverpflichtungen kaum entlassen, an die Seine reiste. Mit leichter und vibrierender Gestik des Handgelenks registriert er summarische Hinweise von Pro Memoria-Notizen. Die beiden ersten Blätter führen uns in den Louvre vor die beiden erwachsenen Figuren von Leonardo da Vincis berühmter "Anna selbdritt" von 1508–1510, dem im 20. Jahrhundert durch Sigmund Freud bekanntlich interpretierten Bild. Nach dem Blick auf ein Stück Weg an einem Baum vorbei hat Franz Gertsch vielleicht etwas verstohlen aber beharrlich – in den Alleen des Parks? – auch die Silhouette einer lettischen Freundin umrissen, die er zu einem Ausflug nach Fontainebleau aufgefordert hatte (Schloß Fontainebleau wurde von König François Ier erbaut, dem einstigen Besitzer von Leonardos Öltafel, die sich heute im Louvre befindet).
Etwas ist wohl zum benutzten Schreibwerkzeug, dem Kugelschreiber, anzumerken. Seine technische Entwicklung verdankt man László József Biró (1899–1985), einem argentinischen Ungarn, der 1944 das Patent anmeldet: der englische Name "Biro-pen" bezieht sich noch auf ihn. Das erste Model wurde ab Oktober 1945 in New York von Reynold’s verkauft. Erst zu Beginn der Fünfziger Jahre erscheint dieser Schreiber in Frankreich. Das französische Patent des "Bic Cristal" geht auf 1950 zurück. Franz Gertsch gehört somit zu den allerersten Künstlern, die sich des Kugelschreibers bedienten.
Die andere Zeichnungsfolge, mit Pinsel und Tusche ausgeführt, darf man mit 1960 datieren. Franz Gertsch bereitet damals das letzte seiner vier Künstlerbücher mit Druckgraphik vor, "Tristan Bärmann", 1962 in Burgdorf gedruckt (das erste Buch, "This und Weit", erscheint im September 1950).
In der Ablösungsphase von seiner ersten Frau erarbeitet Franz Gertsch "Tristan Bärmann", ein Märchen in zwanzig Holzschnitten im Quartformat mit einer Erzählung, die sich wie eine ehrwürdige Chronik ausnimmt, die der Künstler jedoch selbst nach dem Vorbild der alten chinesischen Literatur sorgfältig verfaßt hat (Franz Gertsch hatte damals aber auch die deutschen Romantiker gelesen). Da das Bild ihm selbstverständlich „genau so wichtig wie der Text“ erschien, hat er in vermehrter Anzahl Vorarbeiten gemacht. Diejenigen, die schließlich in Holz geschnitten wurden sind in der Ausstellung jeweils mit einer schwarzen Nadel gekennzeichnet.
Diese „flott gemalten“ Zeichnungen entfalten heftige Züge und einen markiert schwarzen Strich, der zugleich von fern an die chinesische Malerei, mit der sich Franz Gertsch immer beschäftigt hat, erinnert. Sie überraschen dazu durch eine Art Expressionismus, wenn nicht gar eine etwas wilde Ungeschliffenheit, auch wenn der Künstler damals die Graphik der deutschen Expressionisten nicht kannte. Auf Birnenlangholz übertragen werden diese Zeichnungen beim Schneiden gewissermaßen noch Umsetzung und Läuterung erfahren. „Eine geschnittene Linie kann man nicht machen“ sagten damals die Leute zu Franz Gertsch, der sie dann auf die linearen Holzschnitte von Aristide Maillols "Daphnis et Chloé" (1937) verwies.
Die Darstellungen sprechen allerlei Begebenheiten an: ein Haus mit Strohdach zwischen den Bäumen, Begegnungen am Brunnen und um den Tisch, Meerlandschaften, innere Welten der Bibliothek und des Schlafengehens, zärtliche Umarmungen eines Paares und, selbstverständlich, die Erscheinung des Bären …
(Text: Rainer Michael Mason)